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2012
Zwischen Erinnern und Vergessen

Michael Braunsteiner
Zwischen Erinnern und Vergessen
Seelenverwandtschaft. Seelenlandschaft


Musik und Literatur, Kunst-, Kultur- und Ideengeschichte bilden wichtige Themen der Zyklen von Johannes Deutsch. Noch in hervorragender Erinnerung ist das von ihm 2004-2006 entwickelte interaktive Mediengesamtkunstwerk für Bühne und Fernsehen „Vision Mahler“ anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des WDR in Köln. Zuletzt waren Positionen des interdisziplinären Werks von Johannes Deutsch unter dem Titel „Zeit Perlen“ 2010-2011 im Künstlerhaus Wien zu sehen. Für Admont hat er im Rahmen der „MADE FOR ADMONT-Labels“ ein Triptychon und ein dreidimensionales Glasschichtenbild zum Thema „Paradies“ geschaffen. Den Werken liegt eine intensive Auseinandersetzung des Künstlers mit den Admonter Paramenten von Fr. Benno Haan des 17. Jhs. zugrunde. Diese Werke, „Trittico Paradiso“ und „Paradiso - Pausa Creativa“, sind 2012 in der Ausstellung „Zwischen Erinnern und Vergessen“ im Museum des Stiftes Admont vertreten. Den elementaren Beitrag zu diesem Ausstellungs-Thema leistet der Maler und Medienkünstler jedoch mit seiner Rauminstallation „Manfred“. Dabei handelt es sich um Robert Schumanns Vertonung des „Manfred“ nach dem dramatischen Gedicht von Lord Byron. Sprache und Musik finden sich bei Schumann in einer Gedankenwelt vereint, ohne dass die Individualität des Genres aufgegeben wird. Johannes Deutsch hat dem original belassenen Text und Schumanns Komposition noch eine weitere Dimension hinzugefügt. Unter seiner Regie und Visualisierung ist „Manfred“ 2011 in der Tonhalle Düsseldorf zur dreimaligen gefeierten Live-Aufführung gelangt. Die Entstehungsgeschichte seines multimedialen „opus magnum“ wird von originalen Skizzenbüchern, Zeichnungen und Storyboards dokumentiert. Deutsch hat mit ZDF und ARTHAUS die Aufführungen in der Tonhalle aufgenommen und in Kombination mit den Live-Streams von der Titelrolle eine Filmversion des „Manfred“ geschnitten, welche via Blu-ray- in einem Whitecube in der Ausstellung nach-erlebbar sind.

Hat man einmal eine Auswahl der unvorstellbaren Mengen an nach akribischen logistischen Systemen geordneten, komplexen Studien und Entwürfen synoptisch vor Augen, die den finalen Seelenlandschafts-Metamorphosen in Cinemascope im Falle „Manfreds“ vorausgehen, fehlt es beinahe an Vorstellungskraft, wie ein einzelner Mensch eine solche „Vorstellungskraft“ haben und Derartiges in so kurzer Zeit bewältigen kann, in dichten Clustern an offenbar durchgearbeiteten Tagen und Nächten zu einem so aufwändig, so perfekt geplanten großartigen Endergebnis gelangen kann. Aber: Johannes Deutsch schafft das … mit der Lockerheit eines multikulturellen Vollprofis entsprechend seiner geistig-kosmopolitanen Art. Mit gewaltigem Forscherdrang, grenzüberschreitendem Wissen und viel Erfahrung geht er an sein Thema heran. Ihn interessiert die Gegenwartskunst in ihrer Verbindung mit zivilisatorischen Anschauungen, die wiederum mit den raschen technischen Entwicklungen unserer Zeit sowie den fundierten Traditionen zusammenhängen. Ihn fasziniert die Geschichte in ihren Verflechtungen mit den Ansichten unserer Zeit. Er beschäftigt sich mit den großen Fragen der Menschheit und mit den ewigen Themen der Welt im Wandel der Zeit. So hebt er den zu Schumanns Zeit so unerhört neuartigen Stoff des „Manfred“ aus dem Schrein der Vergangenheit und rückt ihn mit allen ihm zur Verfügung stehenden intellektuellen, emotionalen, künstlerischen Mitteln und Formen in das Bewusstsein von uns Menschen des 21. Jahrhunderts. So etwas haben wir noch nie gesehen! Wir spüren den Geist der englischen Romantik, der ebenso von Vernunft durchdrungen ist wie von einem Glauben an seine eigenen Gefühle. Wir erkennen ergriffen die Aktualität des von Johannes Deutsch als programmatischen Totentanz verstandenen Themas und, so der Künstler, „werden Zeugen, wie ein Mensch sein Leben zu Ende denkt und darüber aus Kummer stirbt, es erinnert mich an die nicht literarischen Dramen der TV-Shows, in denen Menschen im Augenblick ihrer Krisen und Schicksalsschläge auf eine TV-Bühne gehoben werden und alles öffentlich erleben müssen und lösen sollen“.

Einen Hintergrund dieser und anderer Erkenntnisse von Johannes Deutsch bildet seine Überzeugung, man müsse sich mit Geschichte, mit Ideengeschichte beschäftigen, will man erkennen, was neu ist, was nicht neu ist. Nicht zuletzt aufgrund der aktuellen rasenden Entwicklung auf dem Gebiet der Technik sieht Deutsch eine ganz wesentliche Rolle der Gegenwartkunst darin, Fragen immer neu zu stellen, ohne das eigene Werk zu kopieren - denn das könne nur ein Computer.

Im „Manfred“ von Johannes Deutsch stellen sich diese Fragen metaphorisch nicht nur von Akt zu Akt, sie stellen sich von Szene zu Szene, von Sequenz zu Sequenz. Vor unseren Augen morphen Landschaften, vollzieht sich eine Folge an Metamorphosen, für die dem Künstler jene des Ovid, noch konkreter Canovas „Daphne“ in der Villa Borghese in Rom, Quelle der Inspiration gewesen sein könnten. In ihrer ebenso ästhetischen wie sinngeladenen Fülle fließen Seelenlandschaften à la Caspar David Friedrich vor unserem Auge vorüber und evozieren Neuland in unserem „inneren Auge“. Das Leitmotiv im digitalen Bühnenbild „Manfreds“ ist ein Gebirge. Es setzt sich aus drei Komponenten zusammen: den felsigen Gesäuse-Bergen nahe Admont im Vordergrund, dem nebeligen Bosruck-Gebirge nahe Ardning im Mittelgrund und den Gasteiner Bergketten im Hintergrund. Alle drei Bild-Komponenten sind in der schablonenartigen Fotomontage gleichzeitig präsent. Nur die Sicht darauf ändert sich. Deutsch wählt in tausendfacher Variation ein und desselben Layers verschiedene Ebenen und Ausschnitte, erzielt durch den fließenden Ablauf an Betonungen verschiedener Begrenzungen die Illusion von Tag- und Nachtstimmungen. Mit diesem Mittel spielt Deutsch wie mit einem Instrument. Eine Botschaft könnte diese sein: Nicht gleich die ganze Welt soll also verändert werden, sondern nur ihre Sichtweise. Zum anderen ist die auch aus Admonter Bergen komponierte Gebirgskette keine naturalistische. Sie kann als Verbildlichung jener inneren Barriere des Protagonisten Manfred verstanden werden, die dieser, sich selbst die Treue haltend, nicht überschreitet.

Johannes Deutsch ist geradezu ein Spezialist für alles, was mit Seelenlandschaften, mit Bild- und Seelenwelten, mit Freud’scher „Traumarbeit“, mit Psychoanalyse usw. zu tun hat. Seelenlandschaften sind uns in seinem Œuvre bereits aus seiner „Vision Mahler“ bekannt. Im Gegensatz zu den konkreten Seelenlandschaften in „Manfred“ sind diese jedoch abstrakt. Bei ersteren steht das synästhetische, das multisensuale Moment im Vordergrund wie auch im primär haptisch, akustisch und olfaktorisch ergründbaren „Unsichtbaren Garten“, den Deutsch 2007 aus lebendigem Material für die Admonter Sammlung „Jenseits des Sehens“ geschaffen hat.

Johannes Deutsch setzt sich in parallel zum historischen Stoff Lord Byrons immer auch mit der heutigen Kultur auseinander, die er als Produkt jahrtausendealter Fragen versteht, welche er zu beantworten versucht. Jeder Neologismus, jede neue Kunstrichtung fällt nicht vom Himmel. Sie hat ihre Wurzeln, ihre Geschichte. Der Kultur schreibt Deutsch die Aufgabe zu, sich einerseits ihrer Entwicklung zu besinnen, andererseits neue Lebensumstände zu erkennen und vor dem Hintergrund der Geschichte im Sinne einer sinnvollen Zuführung in Richtung des Neuen aufzuarbeiten. Johannes Deutsch fühlt als Künstler Verantwortung zur Recherche, zur Entwicklung, zur Integration von Kriterien technologischer oder gestalterischer Art. Als Künstler der Gegenwart ist ihm die Überführung von historischen Themen in die Gegenwartskunst ein essentielles Anliegen. Daraus erklärt sich sein Herüberretten des sperrigen „Manfred“-Stoffes in unsere schnelllebige, von möglichst kurzen Informations-Salven geprägte Twitter-Zeit. Und wohl kaum einer ist besser gerüstet als dieser zeitkritische Medienkünstler, die Errungenschaften der Geschichte mit neuer Technik in der Gegenwart zu frischem Leben zu erwecken, Neues zu schaffen.

Eine Besonderheit von Schumanns „Manfred“ ist, dass mit diesem dramatischen Gedicht eine neue Operngattung geschaffen wurde: Byron hat im Zuge seines Findens einer neuen Theaterkategorie die Bezeichnung „mental theatre“, „Theater im Kopf“ kreiert. Manfreds Gefühls- und Ideenleben ist also die eigentliche Handlung des Dramas, in dem der Theatermusik eine neue tragende Rolle zukommt. Das Zusammenspiel von Text, Musik, der spezifischen Regie und Visualisierung im Sinne eines „live cinemas“ zielt klar in Richtung Gesamtkunstwerk ab. Das seelenverwandte Interesse an der Erschaffung eines Gesamtkunstwerkes, an der Suche nach neuen Gattungen kann als verbindendes Element zwischen Johannes Deutsch, Lord Byron und Robert Schumann gesehen werden. Mit beiden verbindet Johannes Deutsch auch der Glaube an mentale Welten, an eine sichtbare Kunst, die etwas Seelisches zum Ausdruck bringen kann. Das Bewusstsein ist wie ein Scheinwerfer. Im Idealfall kann es der Künstler, der Regisseur analog dem Bühnenscheinwerfer in die Seelen des Publikums richten …


Auszug aus:
"Johannes Deutsch. Zwischen Erinnern und Vergessen",
Wien: Verlag Johann Lehner 2012, ISBN 978-3-902850-00-3
Mit Beiträgen von Michael Braunsteiner, Maria Campitelli; Übers. Patrizia Giampieri-Deutsch


Veranstaltung, Ort: Admont, Museum für Gegenwartskunst

Werkegruppe Manfred - Zyklus 'the mental landscape'