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2010
MANFRED von Robert Schumann

Schumanns "Manfred" gilt gemeinhin als "unaufführbar".

Interview mit Johannes Deutsch von Elisabeth von Leliwa


Grund dafür ist die Dichtung von Lord Byron, die den Geist einer längst vergangenen Epoche zu atmen scheint. Was hat "Manfred" nach Ihrer Überzeugung den Menschen des 21. Jahrhunderts zu sagen?

Johannes Deutsch: Ich bin nicht sicher, dass es an Byrons Stoff liegt, auch nicht an Schumanns Musik. Eher schon hat diese sogenannte „Unaufführbarkeit“ mit dem Versuch beider Künstler zu tun, ein Werk zwischen den Gattungen zu schaffen. Was Schumann mit „Manfred“ explizit versuchte!
Aber von der Thematik des „Manfred“ kann man viele Vergleiche zum Leben der Menschen heute ziehen. Die Zuschauer können Ideen und Erfahrungen daraus gewinnen: Die Episoden des Dramas müssen nur entsprechend übertragen werden. Zum Beispiel erkennen wir im Laufe des Stückes, dass wir aus der Innenperspektive der Gedanken und Gefühle auf Manfreds Leben schauen – wobei Manfred von Beginn des Dramas an sein Leben als am Ende ansieht. Und diese Situation, dass wir Zeugen werden, wie ein Mensch sein Leben zu Ende denkt und darüber aus Kummer stirbt, erinnert mich an die außerliterarischen Dramen der TV-Shows, in denen Menschen im Augenblick ihrer Krisen und Schicksalsschläge auf eine Bühne gehoben werden und alles öffentlich erleben müssen und lösen sollen. Der Weg durch die persönliche Tragödie wird extemporiert, und während der dramatischen Performance tauchen alle guten und bösen Geister auf, als handle es sich um Theaterzauber: Zwischen Beratern, Quacksalbern, Befürwortern, Gegnern, Tätern und Opfern soll das Einvernehmen erzielt werden.
Das Gleiche geschieht in Manfreds Gedanken. Auch Manfred leidet und verzweifelt an seiner Einsamkeit, auch Manfred ist auf sich selbst zurückgeworfen. Aber seine letzte Gewissheit ist, dass er sich von keinem Geist und keiner Meinung bezwingen lassen muss.
Und das sind auch meine Gründe, warum ich Manfred nicht leibhaftig auf der Bühne zeigen werde: Um die Figur vor den Blicken der Außenwelt zu bewahren, aber auch, um den Weg zur Identifikation zu ebnen.


Die Düsseldorfer Aufführung hält sich – von einigen Kürzungen abgesehen – an jene deutsche Übersetzung, die Schumann selbst in seinem op. 115 verwendete. Wäre eine Neu-Übersetzung des Byron'schen Originals für eine moderne Auffassung des Stoffes nicht hilfreicher gewesen?

Fangen wir umgekehrt an: Es gibt durchaus zeitgenössische Literatur, welche die Themen des „Manfred“ gestaltet und weiterentwickelt. Aber ich bin der Meinung, dass der Text in seinem historischen Kleid, gerade durch die Notwendigkeit einer Transformation ins heutige Verständnis, unseren Assoziationen auf die Sprünge hilft. Gesetzt den Fall, wir wollten die dichterische Arbeit von Lord Byron oder nur die deutsche Übersetzung, die Robert Schumann verwendet hat, aufschnüren, so hat dies unmittelbar Folgen auf die Wirkung der Musik. Dafür gibt es Beispiele:
Wie Sie wissen, gibt es nur wenige Gesamtaufnahmen des „Manfred“. Für meine Recherchen während der letzten beiden Jahre standen mir drei veröffentlichte und drei unveröffentlichte Aufnahmen zur Verfügung. Bei der historischen Aufführung von 1952 mit Schuricht und Lühr war viel pathetischer Text dazugedichtet worden, wohl um dem Stück den Anstrich einer Oper zu geben. Für das heutige Verständnis sticht dabei der Versuch ins Auge, das Stück weltanschaulich zu „korrigieren“.
Ein Experiment von 1980, das außerordentlich interessant gewesen sein muss, stammt vom italienischen Schauspieler Carmelo Bene. Er übersetzte „Manfred“ ins Italienische und ordnete das Stück gemeinsam mit dem französischen Strukturalisten Gilles Deleuze neu. Die Aufführung an der Mailänder Scala war eine philosophisch-theoretische Interpretation, die Stimmen des Manfred und aller anderen Schauspieler wurden mittels Synthesizer manipuliert, verdoppelt usw. Aber die Wechselwirkung von Sprache und Musik wurde dabei so verkompliziert, dass der Ausdruck der Gefühlsstimmungen darunter litt.
Bei den beiden Aufnahmen mit Albrecht und Venzago am Pult wurde genau das, wonach Sie fragen, versucht: Die deutsche Byron-Übersetzung wurde mit viel Know-how in eine heutige Alltagssprache übertragen. Doch zu meiner eigenen Überraschung ging hier die Übereinstimmung des Textklangs und der Musik verloren. Oder sagen wir es anders: Genau hier entdeckt man, wie groß die Übereinstimmung von Schumanns Musik mit der Textfassung von Karl Adolf Suckow ist. Schumann muss den Wortklang und Sprachrhythmus des Textes förmlich als seinen eigenen Pulsschlag und Atemrhythmus verinnerlicht haben, sonst könnte er nicht so eine Ideallinie zwischen Textwiedergabe und Musik gefunden haben können. Dieser Duktus erhält sich unabhängig davon, ob gerade der Monolog oder das Melodram gesprochen oder aber gesungen wird. Wir haben das bei den Proben immer stark empfunden, Johann von Bülow geht damit wunderbar um.
Die Verschränkung des Sprach- und Wortflusses mit der Musik bestätigte bereits 1903 Hermann Abert in seiner Schumann-Studie: „…vor Allem die melodramatischen (Stellen), geben uns Kunde von dem inneren Eindruck, den er selbst (Schumann) von dem Gang des Gedichtes empfangen hat.“ Interessanterweise soll „Manfred“ Schumanns letztes Autoportrait in einer langen Reihe gewesen sein, und Manfred ist im Wesentlichen auch Lord Byron selbst.




Vom Geisterchor über Bühnenmusik mit Kuhglocken bis zum Melodram …


Aber Schumanns Musik gibt dem Zuhörer doch ebenfalls Rätsel auf. Die einzelnen Musiknummern erscheinen unglaublich disparat: Vom Geisterchor über Bühnenmusik mit Kuhglocken bis zum Melodram ... Welche Rolle spielt die Musik denn überhaupt?

Vorab habe ich gerade beschrieben, wie Schumanns Musik seinen Umgang mit Byrons Dichtung widerspiegelt. Andererseits zeigt sich schon nach dem zweiten oder dritten Hören, dass die Zerklüftung der musikalischen Kapitel der Formversuch für die Abgründe der Seele Manfreds ist. Wenn uns Byron das Leben des Manfred aus der Sicht seiner Beweggründe erzählt, so gestaltet Schumann mit seiner Musik die dazugehörigen Gefühle und Dispositionen.
Peter Gülke beschreibt in seiner Studie über die „konträren Ästhetiken“ in „Manfred“ genau, wie Schumann versucht hat, für diesen Stoff – ganz ohne Vorbild – die kompositorische Gattung und Form zu erzeugen. Die Musik führt den inneren Verlauf der Geschichte Manfreds an, fast scheint es, als hätte die Musik die Voraussetzung geschaffen, auf der die Handlung, die Monologe und Dialoge sich überhaupt ereignen konnten. Gülke beschreibt, wie komplex und fein Schumann mit seinen Mitteln – mit Tempowechseln, mit Klangfiguren etc. – den Charakter von Manfred exponiert. Es ist eine suggestive Musik, und wir spüren die „düstere Glut“, von der Goethe schon bei Byrons Dichtung gesprochen hat.
Am Ende des Werkes, dieses „Hinlaufens zum Tode“ aber teilen sich – beinahe – die Wege von Byron und Schumann. Der Komponist bringt mit dem Schlusschor des „Requiem aeternam“ sozusagen einen „Epilog im Himmel“ an. Laut Gülke ist dies aber (gerade im Vergleich mit der entsprechenden Stelle in Tschaikowskys Manfred-Symphonie) lediglich eine „Erlösung in die Musik hinein“.




"Mental Theatre"


Byron selbst bezeichnete seinen "Manfred" als "mental theatre", als "Theater im Kopf", und machte damit ganz deutlich, dass Manfreds Gefühls- und Ideenleben die eigentliche Handlung des Dramas ist. Sie selbst sprechen in Ihrem Regiekonzept von Manfred als "Anti-Faust". Was bedeutet das?

Das bedeutet zu allererst einmal, dass wir es bei Manfred mit einer Figur zu tun haben, die anders als Faust Empathie für das Opfer hat. Manfred leidet unter seinen Schuldgefühlen. Ihn quält das Problem der Überschreitung, er will Vergessen, nicht Erkenntnis. Zugespitzt gesagt tut Faust ständig Böses und ist optimistisch, Manfred hat einmal Böses getan und ist pessimistisch. Manfred möchte auch nicht wie Faust jünger werden, er besitzt die Privilegien der Jugend, der Herkunft, des Reichtums – und verachtet sie. Manfred zieht sich vollkommen zurück, da er sich auf Grund seiner Prinzipien und seiner Schuldgefühle selbst verurteilt hat. Wie Hartmut Müller sagt, wäre das Vergessen für Manfred die Befreiung vom eigenen Ich.
Aber Manfred ist nicht verrückt, er ist immer bei sich. Auch im Augenblick der Exaltiertheit möchte er nur den Schmerz der Schuld durch geistige Experimente lindern. Er hat keine übersinnlichen Fähigkeiten, beschäftigt sich mit Okkultismus nur, um im Beschäftigungsversuch mit Wissen den Schmerz seiner Schuldgefühle zu bekämpfen. So begeht Manfred sicher nicht Selbstmord, sondern stirbt an gebrochenem Herzen: Tod aus Kummer.
Faust geht den Pakt mit dem Teufel ein, während sich Manfred weigert, mit den Kräften des Bösen zu kooperieren: Weil er nicht vor den eigenen Prinzipien resignieren will, also nicht den Weg der Alpenfee, der Geister, des Abtes gehen will. Darf ich Hans-Jürgen Diller zitieren: „Die Grundstruktur dieser für die europäische Romantik so einflussreichen Figur tritt klar hervor: Der von göttlichen und menschlichen Normen emanzipierte Mensch ist dazu verurteilt, sein eigener Richter zu sein.“ Aus diesem Grund weist Manfred den Abt, der ihm am Ende die Tröstungen der Religion aufdrängen will, darauf hin, dass seine Reue schwerer zu ertragen sei als die Qual der Hölle.


Aber dieses ganze Arsenal von "Personagen", das Sie erwähnen – die Geister, die Alpenfee, der gute Gemsenjäger, der alte Diener, der Abt – stammt doch aus dem romantischen Schauerdrama. Wie kann sich das überhaupt in Ihr Konzept einfügen?

Wie ich bereits zu entwickeln versucht habe, spiegeln diese Figuren für mich die verschiedenen geistigen Positionen im inneren Ringen und Dialog des Manfred wieder. Dieses Lesedrama ist ein Selbstgespräch, das von den einzelnen verschiedenen Stimmen ausgetragen wird.

Manfred ist also Mittelpunkt und Raum des Dramas. Wie visualisieren Sie in der Tonhalle dieses Regiekonzept?

Da war die Tonhalle selbst Inspirationsquelle. Ich habe alles darauf ausgerichtet, dass ihre Kugelform als Symbolik des Einblicks in einen abgeschlossenen Kosmos angesehen werden kann. Folglich wird die Blickrichtung in den realen architektonischen Raum zur Blickrichtung nach Innen, in den mentalen Raum.
Über dem Orchester wird eine schwebende Panoramaprojektion installiert, die in Form eines Sehschlitzes den Blick auf Manfreds Vorstellungen freigibt. Die Bilder des Geschehens und der Orte verwandeln sich unentwegt. Noch darüber – gewissermaßen über seinen eigenen inneren Bildern – schwebt Manfred eingeschlossen in einer Kapsel. Wie anfangs erwähnt, ist Manfred in der Kapsel vor den Blicken des Publikums verborgen. Aber sein Gesicht wird via Kamera auf die Panoramabilder projiziert und live gestalterisch eingearbeitet.


Wie verhalten sich Ihre Bildwelten zu Schumanns Byron-Interpretation? Fügen Sie zusätzliche Interpretationsebenen oder Inhalte hinzu?

Da in Schumanns „Manfred“ die einzelnen Gattungsstränge wie die Schauspiel- oder Bühnenmusik, das Melodrama und der Monolog scheinbar unverbunden bleiben, entwickele ich meine „Bewegtbilder“ als Verbindung von Handlungsablauf und Gefühlstimmung. Das heißt, sie zeigen etwas vom Handlungsablauf in einer farblichen Gefühlsstimmung. Diese Bilder sind als Kontinuum zwischen Orchester und Darstellern immer da. Die durchgängige Kulisse der Alpenlandschaft wird nicht als realer Boden zwischenmenschlicher Handlung benutzt, sondern als symbolisches Abbild der Empfindungen und Konflikte von Manfred. Mit ihrer farblichen Entfaltung versuche ich eine synästhetische Korrelation und Verbindung zur inneren Lage von Manfred herzustellen.
Ob nun der junge mächtige Graf im einsamen Schloss wie Faust Macht über einen Teil der Geisterwelt erlangt hat und von Gewissensqualen für ein offenbar inzestuöses Verbrechen an seiner Schwester Astarte gepeinigt wird, oder ob die eingangs beschworenen Geister seine Sehnsucht nach Vergessen nicht stillen können und Manfred im Sturz vom Jungfraugipfel den Tod suchen will, immer spiegeln sich seine Seelenzustände in der räumlichen und farbigen Kompositionsvariante der Gebirgskette wieder. Sie beherrscht den Blick oder richtig gesagt: Sie verhindert den Ausblick.
In den vergangenen beiden Jahren habe ich für die Filmlandschaften 1400 Bildebenen gestaltet, welche in zwei übereinander liegenden Filmschichten geschnitten wurden. In diese beiden hinein wird Johann von Bülow als Manfred während der Aufführungen live via Kameraaufnahme aus der Kapsel immer wieder hineingemischt, wobei das Kamerabild von mir unmittelbar zu jeder Szene noch farblich und formal adaptiert wird.


Bei einem solchen Zusammenspiel von Text, Musik und Film kommt einem unwillkürlich der Begriff des "Gesamtkunstwerks" in den Sinn. Entspricht das Ihrer Intention? Darf man einen solchen Begriff auf Schumann überhaupt schon anwenden?

Ich denke schon. Robert Schumann hat den „Manfred“ zwischen 1848 und 1851 komponiert. Hat nicht Richard Wagner zu der Zeit am Lohengrin gearbeitet? Ich erinnere mich einmal bei Hans Mayer gelesen zu haben, dass sich Wagner dabei ganz besonders um die Entwicklung seines ganz eigentümlichen Melos aus der gesprochenen Sprache bemühte. Auch Schumann hat mit „Manfred“ eine ganz spezifische Gattung für den Stoff entwickelt, bei welcher es um eine Symbiose in der Wirkung von Musik und gesprochener Sprache ging – vielleicht eher ein Teilaspekt der Synästhesie, als Anlage aber doch ein Gesamtkunstwerk.


Veranstaltung, Ort: Tonhalle Düsseldorf

Werkegruppe Manfred - Entwurf
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