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2012
Tra memoria ed oblio

Ausstellung im Museo Carà
mit Bildern aus den Zyklen Gesichtsraum, Manfred: The Mental Landscape, Vision Mahler und Zeit Perlen von 8. November bis 10. Dezember 2012, Kuratorin der Ausstellung: Maria Campitelli
Katalogpublikation:
"Johannes Deutsch. Tra Memoria ed oblio",
Verlag Johann Lehner, Wien 2012, ISBN 978-3-902850-00-3
Mit Beiträgen von Michael Braunsteiner, Maria Campitelli sowie einem Vorwort von Gerhard Pfanzelter; Übers. Patrizia Giampieri-Deutsch


Maria Campitelli
Zwischen Erinnern und Vergessen,
unterwegs zum Gesamtkunstwerk


Bereits vor zwanzig Jahren formulierte Johannes Deutsch mit „Computer-Bilder“ sein Anliegen einer Verwandlung und Bewegung des Bildes, indem er sich - Wirklichkeit und Fiktion verbindend - die neuen Technologien nutzbar machte, sodass unterschiedliche Momente symbiotisch aufgenommen wurden, also Zeit und Raum erfasst wurden. Der letztgenannte Raum wird zu einer anschaulichen Instanz (siehe den Zyklus „Computer-, Wand- und Deckenbilder”), welche sich in den Zyklen von „Zeit Perlen” (2005-2010) stetig wiederholt, jedoch bereits davor in „Gesichtsraum” (1999-2002) deutlich wird, es geht um den geschlossenen interaktiven Raum als Kubus, in welchem die Bilder auf die durchsichtigen Wände projiziert werden und durch das direkte Eingreifen des Publikums verändert werden.
Der Weg des Johannes Deutsch ist eine stete Erweiterung in der Verflechtung von Medien im Rahmen ihrer unumgänglichen gegenseitigen technologischen Durchdringung auf dem Weg zu symbiotischen, synästhetischen, multisensorischen Ausdruckformen, welche der Gesamtheit des Gegebenen, dem Sichtbaren, dem diesem Unterliegenden, und vor allem dem lebhaften Pulsieren und den emotionalen Schwingungen nachgehen und durch künstlerisches Erfinden visualisieren.

Angelpunkt in der Entwicklung der Mediensprachforschung von Johannes Deutsch ist insbesondere der „Gesichtsraum”. Die Kreation eines wirklichen Raumes, in dem sich projizierte Bilder bewegen, verwandeln, sich annähern oder vor einander zurückweichen, in dem sich die Farben den Bewegungen der BenutzerInnen in diesem Raum und ihrer Intensität folgend verändern, wobei schließlich alles zusammengeführt wird, um seinerseits 3D-Objekte in diesem Raum zu schaffen. Es ist die unmittelbare Interaktion mit dem Publikum, die den höchst innovativen Mehrwert gegenüber dem historischen Imaginären ergibt, das an den Mauern von Palästen und Kathedralen gleichsam haftet. Denn hier war es Deutsch’s Wunsch die neuen Murales der Gegenwart zu produzieren, die beweglich und in ständiger Wandlung sind, die dank eines computergesteuerten Bildersystems, welches die interaktive Kommunikation mit der in Bewegung befindlichen BetrachterIn in Echtzeit bereit- und darstellt, indem es eine Verwandlungsgeschwindigkeit und einen Reichtum an Interaktionsmöglichkeiten anbietet, welche ähnlich zu den visuellen Prozessen der Vorstellungskraft sind. Im Austausch zwischen den projizierten und erfundenen Bildern welche seitens der BenutzerIn modifiziert werden, bildet sich eine Spannung, die einen emotionalen Raum generieren kann, der auch durch den von Deutsch beibehaltenen eigentlichen malerischen Aspekt unterstützt wird, – die malerische Komponente. Diese fließt stark in die „Computer-Bilder“ ein, welcher er sich im „Gesichtsraum” bedient, gemeinsam mit dem Vermächtnis eines thematischen Selbstbezuges (Gedanken an seinen Sohn Italo-Léon) und damit Erinnerungen.

Mit „Vision Mahler“ erweitert sich das Forschungsfeld auf die Musik. Es findet eine Auseinandersetzung zwischen musikalischem Geschehen und visueller Interpretation statt. Mittels digitaler Medien ermöglicht Deutsch den Fusionsdialog zwischen Wirklichkeit und Traum, dank der das Wirkliche in eine individuelle Komposition verwandelt wird, die sich auf die Musik ausdehnt, indem sie ein von ihr durchdrungenes Imaginäres schafft. Die technologischen Mittel werden zum Instrument, um sich mit der musikalischen Expressivität zu vereinen, um einen sich visionär verwandelnden Fluss, der im Einklang mit der Musik vibriert, zu erzeugen, sie lesen, interpretieren und machen den Puls der Emotionen in den 5 Sätzen der II. Sinfonie der „Auferstehungs-Sinfonie“ sichtbar. In diesem Fall jedoch handelt es sich nicht mehr nur darum, die Wirklichkeit umzugestalten, um sie mittels unendlicher technologischer Leistungsfähigkeit in eine Flut neuer Bilder zu verwandeln, sondern um einen originären und mutigen, rein abstrakten Weg, der von 18 herausstechenden vom Künstler erschaffenen Farbobjekten ausgehend in stets erneuerte Dynamiken umgesetzt wird. Wobei sie in engem Kontakt mit der Musikerzählung ständigen Wandlungen unterzogen werden und sie auf diese Weise alle sie durchdringenden Gefühle vom romantischen Drang bis zur Ironie, zur Liebe, zum Zweifel, sowie zur Hoffnung abbilden. Die virtuelle Welt wird von der Musik generiert und verschmilzt mit ihr, und folgt dabei der Interpretation des Dirigenten und dem Kölner Ensemble (2006, zum 50. Jubiläum des Westdeutschen Rundfunk). Der WDR übertrug durch eine besondere Kombination von Technologien das Konzert auch im Fernsehen, welche es dem Publikum auch zu Hause ermöglichte, die Unmittelbarkeit der Interaktion zwischen Musik und ihrer Visualisierung zu erfassen.

In diesen großartigen und komplexen Operationen von Deutsch lässt sich die Tendenz erkennen, zu einer Gesamtkunst vorzudringen, die eine Reihe verschiedener Sinneswahrnehmungen zusammenführt. Der alte Traum der historischen Avantgarden lebt in Johannes Deutsch wieder auf und die avancierte Technologie scheint diesen Wunsch erfüllen zu können, indem sie eine schöpferische interaktive Komplexität erzeugt, die sich unter Einbezug eines partizipierenden Publikums in der Zeit entfaltet. In „Vision Mahler” verschmelzen Musik, Wort, Bild, indem sie sich gegenseitig hervorheben und in „Manfred“ (Düsseldorf 2010), dem neuen großen Projekt des österreichischen Künstlers, finden die linguistischen Synergien eine zusätzliche expressive Verstärkung im romantischen Drama von Lord Byron, welches Robert Schumann in seine Musik transponierte. Hier bildet bereits Schumanns originäre musikalische Auffassung, die Grundlagen für ein Gesamtkunstwerk. Johannes Deutsch bemerkt, dass Schumann für „Manfred“ eine musikalische Sprache entwickelte, die mit der gesprochenen im Inneren verbunden ist, und zwar in einer synästhetischen Bedeutung, insoweit, dass eine vom Wort losgelöste Musik keinen Sinn hätte, da sie die widerstreitenden Emotionen des romantischen Helden interpretiert, die schließlich jene von Schumann reflektieren. Deutsch erklärt uns, dass er die deutsche Version der Dichtung Byrons wählt, da diese mit Schumanns Musik stärker korreliert als mit dem englischen Original. Das Ergebnis ist eine Überwindung der traditionellen Ästhetik des Dramas hin zur Musik, um sich einer aktuellen Sensibilität anzunähern. Die von Deutsch geschaffene Visualisierung auf einer Panoramaleinwand in Form eines Auges, welche über dem Orchester emporragt, verströmt auf das Publikum die vielfältigen symbolischen Bilder einer mentalen Landschaft, während der Interpret von „Manfred“ in einer großen freischwebenden Kugel eingekapselt ist, aus der mittels einer innerhalb der Kugel installierten Kamera Aufnahmen von ihm live in jene auf die Panoramaleinwand projizierten Landschaften eingefügt werden. Die imposante technische Struktur verstärkt in der Folge die Aktualität der Interpretation des Dramas des 19. Jahrhunderts. Manfreds gequältes Gedächtnis, das zwischen Schuldgefühlen wegen der inzestuösen Liebe zur Schwester Astarte und Vergessenswünschen hin und her gerissen wird, wird in eine außergewöhnliche Sequenz von Landschaftsbildern (bestehend aus gut 1400 Varianten) übersetzt, die die Schweizer Landschaft, in der das Drama eigentlich stattfindet, jedoch nicht zitieren sondern vielmehr die veränderliche psychische Landschaft der Hauptfigur in symbolischer Form gestalten möchte. Die Bilder folgen in unerschöpflichen chromatischen Abwandlungen aufeinander je nach Tageszeit mit wahrhaftig epischen Effekten, stehen im Einklang mit der Dramatik der Redeweise und werden hin und wieder die genaue Verbildlichung der Kraft der Worte („Atmet - Sturm, Schatten! Geist!”, S. 26, S. 38-39) oder seines Lyrismus („Und du, o frischer Tag…”, S. 33).

„Zeit Perlen“ (2005-2010) erscheint dagegen, neben den zwei musikalischen Dichtungen, wie ein Intermezzo, arioso und meditativo, und besteht aus einer Bildersequenz, die sich um Gedächtnis und Vergessen dreht. Diese Bilder basieren auf einer Kombination aus Malerei, Photographie und digitalen Transformationen.
Die Metamorphose ist das Grundelement dieses Zyklus, der von einem heraufbeschwörenden Geist durchdrungen ist, der durch die Erscheinung von vertrauten Menschen und Freunden persönliche Erlebnisse berührt, wie „Nel fondo del pozzo”, einem Werk schillerndem Wasser gleich, worin zwei aus einer weit zurückliegenden Zeit emportauchende Figuren (Frau und Sohn) durchschimmern; die Verdichtung von mythischen Zitaten (Alcyone und Ceyx, Clymene, Hebe, Iris…) die Beschwörung von Orten wie der „Veranda“, die sich zu einer Theaterbühne verwandelt, an der sich Céleste bei Tagesanbruch zeigen kann, während sie noch von den Emotionen ihrer Interpretation in „Don Giovanni“ des vergangenen Abends mitgenommen ist, … alles das lebt in der Dimension eines Traumes. Und in ihm treiben Wirklichkeitsfragmente. Dank der wachsamen, wiederkehrenden Präsenz einer weiblichen Figur, einer Kadenz, welche die Zeit taktet, ergibt sich die Kontinuität, die innere Verbindung der präsentierten Szenen. Es ist die Erinnerung, die zwischen den Falten der Erzählung, in der Verflechtung musikalischer Echos, von Zitaten aus der Kunstgeschichte und der Oper, von prunkvollem architektonischen Ambiente in einer verfeinerten kulturellen Atmosphäre dahingleitet. Und diese Evozierung von Gestaltwandlungen kommt dank der poetischen Melancholie der „Perlen der Zeit“ zum Ausdruck, dieses Gedächtnis, das zutage tritt und in den vielschichtigen Stratifikationen der Visionen, der Echos und der Verweise schillert, während es gleichzeitig in Vergessenheit geratene Lebenskräfte restituiert.

Ein roter Faden zieht sich also durch die Werke dieser Ausstellung: ein Wille, die Grenzen der Sprache zu überwinden, um andere in einer allumfassenden Perspektive des Kunstwerks zu verschlingen, welche verschiedene Sinne des Menschen anregt, auch um eine andersartige, umfassendere und durchdringendere Partizipation der RezipientInnen zuwege zu bringen. Um dieses Ziel zu erreichen, begegnet die Kunst von Deutsch der Wissenschaft und der Technologie entlang eines Weges, der an die Renaissance anknüpft; und zeigt auf diese Weise ein komplexes Untersuchungsgebilde, das durch die unterschiedlich verarbeiteten Anteile von Gedächtnis und Vergessen eine persönliche, sensible und aufmerksame Weltlektüre voraussetzt, dennoch geht die ursprüngliche Wärme des Malerischen – die erste unausweichliche Annäherung Deutsch´s zur Kunst – nicht verloren. Sie trägt dazu bei, die Emotionen eines jeden schöpferischen Impulses lebendig zu erhalten.


Auszug aus:
"Johannes Deutsch. Zwischen Erinnern und Vergessen",
Wien: Verlag Johann Lehner 2012, ISBN 978-3-902850-00-3
Mit Beiträgen von Michael Braunsteiner, Maria Campitelli; Übers. Patrizia Giampieri-Deutsch


Veranstaltung, Ort: Muggia / Trieste, Museo d´Arte Moderna Ugo Carà

Werkegruppe Tra memoria ed oblio - Museo Carà